Rezension zu Ten Candles

Nach unserer Honey Heist Runde und einer kurzen Flucht in die Erstellung von Aeros mit Arium:Create hatten wir eine Horror-Runde geplant. Wir wollten eh Geh nicht in den Winterwald ausprobieren, welches Benjamin schon erfolgreich und mehrfach geleitet hat. Ich auf der anderen Hand hatte mir Ten Candles vorgenommen. Im Oktober fanden wir jedoch leider kein Termin, aber jetzt hatten wir es endlich geschafft.

In dieser Rezension soll es um ein Spiel gehen, in welchem die Welt dunkel ist und SIE kamen. Zehn Kerzen sollen uns auf das Ende vorbereiten, das unausweichliche Ende.

Kurz und Knackig:

In Ten Candles erzählt die gesamte Spielgruppe eine tragische Horror-Geschichte. Eine Geschichte von Hoffnung aber auch einer Welt vor ihrem Ende. Warum zusammen? Weil die Spieler sowie die Spielleitung sich das Erzählrecht am Tisch teilen. Warum tragisch? Weil egal wie viel Hoffnung die Charaktere doch haben mögen, sie finden letztendlich alle ihr Ende in dieser Geschichte.

Ten Candles ist ein zeitbasiertes Spiel, da die zehn Kerzenlichter am Tisch das Ende des Spiels einläuten. Sind alle Kerzen erloschen, endet das Spiel. Die Spielleitung sucht ein Szenario für den Abend heraus, was eine grobe Beschreibung der Situation und Welt ist sowie einigen Orten, die in diesem Abend besucht werden und relevant sein könnten. Das Ziel im Szenario soll den Spielern aber auch Charakteren Hoffnung geben. Die Charaktererstellung begrenzt sich auf wenige Merkmale der Charaktere anstatt große Charakterbögen und beim Würfelsystem handelt es sich um einen W6-Würfel-Pool.

Bildquelle: Cavalry Games

  • Verlag: Cavalry Games
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Englisch
  • Seiten: 97
  • Format: PDF/Softcover
  • Preis: 10,00 $ als PDF bzw. 28,00 $ als Softcover bei Cavalry Games oder als Softcover bei Sphärenmeisters Spiele für 27,95 €

Die Welt

Die Beschreibung der Welt von Ten Candles ist kurz und flexibel. Die Welt ist vor zehn Tagen dunkel geworden. Die Sonne scheint nicht mehr und der Himmel ist schwarz. Vor fünf Tagen kamen SIE.

Die Welt ist kurz vor ihrem Ende. SIE überrumpelten die Menschen und jagen sie. Die Zivilisationen der Welt kämpfen gegen diese Wesen, aber verlieren Stück für Stück, denn die einzige Schwäche von IHNEN ist das Licht.

Dies erlaubt mehrere Freiheiten. Erstens ist nicht klar definiert wer SIE sind. Es sind Wesen, welche nach dem Einbruch der weltweiten Dunkelheit kamen. Während der Charaktererstellung und des Spiels erfährt man mehr über SIE und SIE sind in jedem Spiel unterschiedlich. SIE sind genau das, was die Gruppe braucht, um eine spannende und tragische Geschichte zu erzählen.

Es wird zwar angenommen, dass die Welt in unserer modernen Zeit ist, aber Szenarien erlauben auch ein gänzlich anderes Setting. Die Grundprämisse sollte nur sein: Die Welt ist vor kurzem dunkel geworden, SIE sind gekommen und die Charaktere sind Bürger, welche um ihr Überleben bangen. Sie sind Menschen, wie du und ich.

Die Regeln von Ten Candles

Die Regeln sind für dieses Erzählspiel nicht allzu kompliziert und wir umreißen sie im Kern und nicht vollständig.

Charaktererstellung

Die Charaktererstellung benötigt fünf Karteikärtchen für die Informationen über den Charakter:

  • Das Konzept des Charakters (Name, Aussehen und welche Rolle der Charakter in der Geschichte spielt, z.B. Elektro-Installateur des Flughafens),
  • eine Tugend,
  • ein Laster,
  • einen Moment indem der Charakter Hoffnung finden kann und
  • die Schwelle, die ein Charakter am Rande der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit überschreiten würde.

Die Schwelle kann ein dunkles und vielleicht sogar tödliches Geheimnis sein, was dem Charakter seine restliche Menschlichkeit vergessen lassen könnte.

Dies sind die Merkmale des Charakters. Bei der Erstellung beschreibt die spielende Person rechts neben einem die Tugend des eigenen Charakters und der Spielende zur Linken das Laster. Den Moment, der Hoffnung schenkt, wird von einem selbst definiert genauso wie Name, Aussehen und die Rolle.

Speziell ist die Schwelle, die man überschreitet. Denn der Spielende zur Rechten schreibt auf einen Zettel “Ich habe gesehen, wie du…” und beschreibt eine Situation, welche die Schwelle des Charakters beschreibt. Bei diesen Schwellen schreibt auch die Spielleitung eine solche Beobachtung für den Charakter zur linken der Spielleitung, aber aus der Sicht von IHNEN. Denn der Zettel besagt: “SIE haben gesehen, wie du…”. Eine besondere Rolle nimmt daher die spielende Person zur Rechten der Spielleitung ein. Sie schreibt auf, was der eigene Charakter gesehen hat, wozu SIE in der Lage sind. D.h. der Spielende definiert etwas über SIE. Es darf dabei nur keine Schwäche sein. Die einzige Schwäche, die SIE haben, ist das Licht.

Diese Merkmale des Charakters haben auch noch regeltechnische Auswirkungen, die wir in dieser Rezension jedoch nicht weiter erläutern. Es sei jedoch gesagt, dass man symbolisch ein Merkmal des Charakters am Tisch verbrennt, um anzuzeigen, dass es benutzt wurde.

Die Charaktererstellung endet mit der Aufnahme der letzten Worte des Charakters durch die Spielenden auf einem Smartphone oder anderem Diktiergerät.

Würfel-Pool und Konflikte

Das Spiel erstreckt sich über zehn Szenen. Jede Kerze repräsentiert eine Szene. Erlischt eine Kerze, so wechselt die Szene. Am Anfang einer Szene erhalten die Spielenden zusammen insgesamt so viele Würfel, wie es brennende Kerzen gibt. Für jede erloschene Kerze erhält die Spielleitung einen Würfel. Hier ist es hilfreich, wenn die Würfel dieselbe Farbe haben, denn ist eine Aktion eines Charakters unklar, muss ein Konfliktwurf gemacht werden.

Dafür würfelt die spielende Person die verbleibenden Würfel des Würfel-Pools. Jeder Würfel, welcher eine 1 zeigt, wird aus dem Würfel-Pool bis zum Anfang der nächsten Szene verbannt. Der Konfliktwurf ist erfolgreich, wenn eine 6 geworfen wurde. Zeigt kein Würfel eine 6, so ist der Konflikt erfolglos und die Szene endet. Eine Kerze muss ausgeblasen werden.

Warum gleichfarbige Würfel im Würfel-Pool? Wenn der Moment eines Charakters ausgelebt wird und erfolgreich ist, denn der Moment erfordert einen Konfliktwurf, so erhält die spielende Person einen Hoffnungswürfel für den Charakter. Der Charakter hat in einem Moment der Hoffnung diese gefunden. Der Hoffnungswürfel darf bei jedem Konflikt des Charakters geworfen werden und erzielt schon auf einer 5 einen Erfolg. Bei einer 1 wird der Hoffnungswürfel auch nicht weggelegt.

Erzählrecht

Die Spielleitung würfelt ihre Würfel bei einem Konflikt, um zu schauen, wer das Erzählrecht über den Konflikt hat. Hat der Spielende mehr Erfolge (Würfel, welche eine 6 zeigen) als die Spielleitung, so liegt das Erzählrecht des Konflikts beim Spielenden. Ansonsten erhält die Spielleitung das Erzählrecht. Der Spielende kann sich auch dafür entscheiden das Erzählrecht zu behalten oder erhalten. Dafür muss jedoch eine Kerze ausgeblasen werden.

Es geht bei diesem Wurf lediglich darum, wer das Erzählrecht hat und nicht, ob der Konflikt erfolgreich ist. Dafür reicht eine einzelne 6 auf einem der Würfel des Spielenden.

Dies erlaubt den Spielenden die Geschichte mit zu gestalten, aber man sollte immer im Hinterkopf behalten: Es wird versucht eine tragische und düstere Geschichte über die letzten Stunden dieser Charaktere zu erzählen.

Wahrheiten etablieren

Wenn eine Kerze erlischt, wechselt die Szene. Es passieren zwei Dinge: Der Würfel-Pool wird aufgefüllt und die Gruppe etabliert Wahrheiten. Dafür leitet die Spielleitung diese Phase mit diesen Worten ein: “Dies ist alles wahr. Die Welt ist dunkel.”

Ist eine Kerze aufgrund eines Misserfolgs bei einem Konflikt ausgegangen oder wurde ausgeblasen, um das Erzählrecht zu behalten oder erhalten, fängt die spielende Person, welche die Kerze ausgemacht hat, an die erste Wahrheit zu etablieren.

Reihum definiert die Gruppe nun Wahrheiten. Es dürfen so viele Wahrheiten definiert werden, wie Kerzen noch brennen. Diese Wahrheiten sollen möglichst klein sein, wie z.B. “Daniel findet eine Taschenlampe in einem kleinen Kasten innerhalb der S-Bahn”. Die Geschichte soll so fortgeschrieben und auf die nächste Szene vorbereitet werden. Neue Charaktere, Gegenstände, Umstände oder sonstige Situationen können in der Geschichte so eingebaut werden. Die Spielleitung nimmt auch an der Einführung neuer Wahrheiten teil und gerne kann auch auf Ideen anderer Spieler aufgebaut werden: “Wir fanden die Tür zum Bunker.”, “Als wir die Tür des Bunkers öffneten, wurden wir herzlich von einer Gruppe begrüßt.” usw.

Die letzte Wahrheit muss jedoch immer sein: “Und wir sind alle am Leben.” und sollte möglichst von allen Spielern, welche am Leben sind, gleichzeitig gesagt werden.

Last Stand

Wenn nur noch eine Kerze brennt, beginnt die letzte Phase des Spiels: Der Last Stand. Die einzige Wahrheit, die etabliert wird, ist: “Und wir sind am Leben.”

Wie der Showdown der Geschichte aussieht, ist Domäne der Spielleitung. Jeder erfolglose Konfliktwurf eines Charakters endet mit dem Tod. Die letzten Momente vor dem Tod werden jedoch vom Spielenden erzählt und beenden so das Leben des Charakters.

Wenn alle Charaktere gestorben sind, wird die letzte Kerze gelöscht und die Spielleitung läutet das Ende ein mit: “Dies ist alles wahr. Die Welt ist dunkel.” und spielt danach in vollkommender Dunkelheit die aufgenommenen und letzten Nachrichten der Charaktere ab.

Das Buch

Das Buch besticht mit einem simplen Design. Es gibt wenige Illustrationen und die Einleitung ins Spiel wird auf wenigen Seiten und aus den Augen von Gene, einer Frau in den letzten Tagen der Welt, beschrieben. Es setzt den Ton des restlichen Buches und die Stimmung des Lesenden.

Kapitel Anfänge signalisieren, ob es sich beim nächsten Abschnitt um Lesebereiche auch für Spielende oder nur für die Spielleitung handelt und der Lesefluss geht vom Kapitel “HERE THERE IS LIGHT” zum abschließenden Kapitel “HOW IT MUST END”. Der Lesende wird in die Welt der Hoffnung aufgesogen und ins Licht, welches SIE fernhält, bis das Buch in Dunkelheit sowie das Ende abdriftet.

Im Appendix sind offizielle Module und Fan-Module beschrieben. Module sind Szenarienbeschreibungen auf einer guten halben Seite und bringen Ideen für die Situation der Charaktere (z.B. auf einem Flughafen mit einem letzten, vollbetankten Flugzeug sowie einem fähigen Piloten oder die Charaktere sind eine Gruppe von Soldaten, welche Überlebende aufsuchen, um sie zu einem Bunker zu bringen), Orte, welche sie in ihrer Geschichte aufsuchen könnten, und Ziele, die man während des Szenarios erreichen könnte (z.B. Fliege mit dem Flugzeug fort, bringe die Überlebenden zum Bunker, löse das Mysterium um SIE usw.).

Die Atmosphäre

Das Spiel bringt seine eigene Atmosphäre mit. Etablieren von Wahrheiten, Einleitung und Beendigung der Wahrheits-Phase mit gleichbleibenden fast schon rituellen Phrasen (“Dies ist alles wahr. Die Welt ist dunkel.” sowie “Und wir sind alle am Leben.”), das Verbrennen von Persönlichkeitsmerkmalen des Charakters, wenn man diese “aufgebraucht” hat und letztendlich das weniger werdende Licht am Tisch durch das Ausblasen von Kerzen sowie das Aufnehmen und Abspielen der letzten Nachrichten der Charaktere.

Somit wird also nicht nur die Stimmung in den Szenarien und in einer schrecklichen Welt aufgebaut, sondern auch durch die Mechaniken am Tisch selber.

Fazit

René als SL

Meine Erwartungen an Ten Candles waren hoch. Ich denke, dass Horror Spiele eher Spannung aufbauen als wirkliche Schockmomente. Durch das geteilte Erzählrecht erzählt jedoch die gesamte Gruppe diese Geschichte. Ich würde auch immer versuchen das Erzählrecht zu erweitern. Wie bei einem PbtA sollten die Spielenden nicht nur Konflikterfolge beschreiben dürfen, sondern aktiv die dunkle Geschichte mit erzählen.

Ten Candles baut eine schöne Atmosphäre mit den Kerzen, dem dunklen Raum und der gemeinsamen Geschichte auf, wo jedem klar ist: Wir haben schon die letzten Worte unseres Charakters aufgenommen… Man muss zwar immer noch Bedrohungen in der Geschichte aufbauen sowie die Sinne für die Immersion beschreiben, aber das Umfeld ist schon schaurig düster.

Das Leiten dieses Zero-Prep Spiels ist angenehm einfach und sehr erfüllend. Die Regeln sind überschaubar und wohl die wichtigste Vorbereitung. Ein Spickzettel erlaubt einen schnellen Überblick, um keine Phasen oder Regeln zu vergessen. Die Szenarien können mehrfach gespielt werden, da die Gruppe zusammen die Geschichte erzählt und so jedes Szenario immer anders aussehen kann. Während des Spiels bei unserem Szenario, wo die Charaktere Terminal D und ein betanktes Flugzeug aufsuchen sollten, schmiedete ich schon beim Spiel den Gedanken, dass wir im Flugzeug und Flug weiterspielen, weil sie zu schnell ihr Ziel erreichen könnten. Warum beim Flughafen Terminal enden? Die Kerzen brennen noch und SIE sind noch auf der Jagd.

Wie sich herausstellte kann man ein Happy Ending in dem Spiel haben. Das Ziel des Szenarios zu erreichen, kann selbst mit dem Ableben der Spielercharaktere eine Genugtuung sein. Werden die NSC mit dem Flugzeug in Sicherheit kommen und überleben? Können wir diese armen Seelen vor ihrem sicheren Ende bewahren?

Ten Candles wird einen wichtigen Platz in meinem Schrank und Spielarsenal haben. Meine Erwartungen wurden erfüllt und für das, was Ten Candles bieten will, macht es das außerordentlich.

Benjamin

Kerzen können nicht nur zur Atmosphäre beitragen sondern auch ein ebenso stimmungsvoller wie spannungstreibender Spielmechanismus sein – davon hat mich Ten Candles voll und ganz überzeugt!

Das System ist ähnlich wie PbtA mehr eine Genre-Emulation als ein vollständiges Rollenspiel, legt aber den Fokus auf ein bestimmtes Genre fest. Die Besonderheit: Das Genre funktioniert in allen möglichen Spielwelten. Ten Candles ist ein ungewöhnliche und eindrucksvolle Spielerfahrung, die ich gerne in einem anderen Setting wiederholen möchte.

Katrin

In unserer Runde bleiben wir eigentlich selten über einen längeren Zeitraum ernst am Tisch. Ten Candles hat dies allerdings überraschend schnell und langanhaltend geschafft. Die Stimmung durch das Kerzenlicht und die Gewissheit, dass die Charaktere bereits tot sind, haben bei mir vom Anfang an für die passende Stimmung gesorgt. Die Idee, den Charakter am Anfang eine Sprachnachricht mit seinen letzten Worten einsprechen zu lassen und diese zum Ende des Abends im Dunklen abzuspielen, hat bei uns am Tisch für einen Moment der Stille gesorgt.

Innovativ fand ich den Ansatz der Charaktererstellung, in dem in wenigen Schritten ein für den Abend spielbarer Charakter mit einem ausreichenden Hintergrund entsteht. Die Regeln sind eingängig und auch der gemeinsame W6 Würfelpool hat überzeugt.

Durch den Wechsel des Erzählrechts, welches zum Ende hin, immer mehr zur Spielleitung wandert, hatte ich immer wieder das Gefühl alle am Tisch erzählen und gestalten eine gemeinsame Geschichte.

Die Kenntnis als Spielerin, egal was ich mache, wenn die letzte Kerze ausgeht bin ich Tod, hat mir am Abend immer mal wieder eine Gänsehaut über den Rücken gejagt. Unterstützt wurde dies mit Hilfe der Dekonstruktion des Charakters, symbolisiert (und praktisch umgesetzt) durch das Verbrennen der für den Charakter stehenden Tugenden, Laster und Momente. Insgesamt ist Ten Candles ein stimmungsvolles Horrorspiel unterstützt von für mich neuen und kreativen Methoden.

Sebastian

Ten Candles erzeugt mit einfachen Mitteln eine unglaubliche Atmosphäre, wenn man sich auf das Spiel einlässt. Ich war überrascht wie sehr mich vor allem die Schicksale der begleitenden NPCs berührten – immer getrieben von der Hoffnung, dass man wenigstens diese retten könnte. Das vor-definierte Ende der Charaktere führte entgegen meiner ursprünglichen Annahme nicht zu einem Desinteresse an der Geschichte. Das Entfernen eines “Gewinnen” des Spiels führte in unserer Runde zu einer tiefen Immersion in das Schicksal dieser Charaktere. In dunklen Wintermonaten definitiv als One-Shot zu empfehlen!

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