Review zu Beyond the Wall und andere Abenteuer

Banner von Beyond the Wall

Anschließend an unser Review zu Abenteuer Gestalten wollen wir heute ein kleines Meinungsbild zu Beyond the Wall bieten.

Dieses Review wurde zusammen mit Benjamin Dose von Ludo Liubice e.V. geschrieben. Vielen Dank an dieser Stelle an Benjamin, der für uns an mehreren Abenden Beyond the Wall leitete!

Die OSR (Old School Renaissance / Revival) Bewegung möchte die Spielweise der ersten Dungeons & Dragons-Edition einfangen, als die ersten Spieler in dieses damals so neuartige Spiel mit verzauberten Blicken und tapsigen Schritten in unbekannte Tiefen gefährlicher Kellergewölbe vorstießen und in versteckten Todesfallen ihren ersten Charakter verloren, nur um dann umso verbissener und motivierter weiterzumachen – denn am Ende (das wissen wir bis heute!) warten die größten Gegner und die wertvollsten Schätze!

Der Drang zur Rückbesinnung wuchs mit den immer komplexeren Regeln aktueller D&D-Editionen. Immer mehr Spieler und Dungeon Master sehnten sich nach den phantastischen Erlebnissen ihrer Jugend zurück. So besann man sich auf die Urzutaten der ersten D&D White Box Edition (W20, Eigenschaften, Rüstungsklasse, Rettungswürfe und Zauber) und die ersten „Oldschool-Retro-Klone“ schossen hervor: OSRIC, Labyrinth Lord, Swords & Wizardry… und noch so viele mehr. Der Strom der Retroklone reißt bis heute nicht ab und so steht auch Beyond the Wall mit einem festen Bein in dieser Tradition.


  • Verlag: System Matters
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: Deutsch
  • Format: PDF / Buch (Hardcover)
  • Preis: 12,49 € (PDF) / 24,95€ (Hardcover)
  • Erhältlich bei: System Matters

Review aus Sicht des Spielleiters

Beyond the Wall als OSR-Spiel… und darüber hinaus

Und warum nun sollte ich genau diesen Retroklon spielen, wenn es doch so viele andere gibt? Zum einen, weil Beyond the Wall ein paar der aus heutigen Augen nicht mehr zeitgemäßen und daher für viele Spieler, die damals die Ursprungs-DnD-Erfahrung eben nicht machten, eher frustrierenden Aspekte elegant auflöst.

Da wären zunächst die Schicksalspunkte: Eine Metawährung mit der man unter anderem den sicheren Tod durch Würfelpech zumindest hinauszögern und mit ein wenig Glück und Hilfe vermeiden kann. Damit wird das Ursprungsdilemma der wenigen Lebenspunkte auf erster Stufe etwas entschärft. Als zweite Neuerung wurde die Charaktererschaffung grundlegend überarbeitet: Statt völlig dem Zufall ausgeliefert zu sein (mit dem Risiko eines extremen Machtgefälles in der Gruppe) wurde ein Lebenspfad-System entworfen.

Die gemeinsame Charakter- und Dorferschaffung

Beyond the Wall heißt nicht von ungefähr so: Das Dorf (diesseits der Mauer) ist der Dreh- und Angelpunkt der Charaktere und ihren zukünftigen Abenteuern (jenseits) und so bekommt dies eine tragende Rolle. Basis der Charaktererschaffung ist dabei ein Lebenspfad-System (vgl. Traveller u.a.), mit dem man zufällige Ereignisse der Kindheit, Jugend und die Steigerung von Stufe 0 zu 1 auf Tabellen auswürfelt, die sich je nach gewählter Klasse unterscheiden. Die dabei erworbenen Boni auf die Attribute ergeben überall dieselbe Summe – somit ist sichergestellt, dass die Charaktere grundsätzlich kompetent sind. Trotzdem kann es passieren, dass man als Magier eine erstaunlich hohe Konstitution erhält oder als Dieb ungewöhnlich stark ist.

Damit der Charakter eine Motivation hat, sich in Gefahr zu begeben, schafft man durch die gemeinsame Charaktererschaffung außerdem Verknüpfungen zu den Mitspieler-Charakteren und es wird das gemeinsame Dorf durch von Spielern ausgedachte NSCs (Dorfschmied, der alte Eremit,…) und Orte (Tempel, Galgenberg o.ä.) mit Leben erfüllt – Menschen für die man gemeinsam zu Abenteuern aufbricht.

Die Abenteuer

Im Grundbuch sind bereits vier spielbereite Abenteuer enthalten. Insbesondere im Falle des, explizit auf Einsteiger zugeschnittenen, Abenteuers Feenhandel ist „spielbereit“ hier wörtlich zu verstehen: Das Abenteuer lässt sich ohne Vorbereitung direkt aus dem Buch heraus leiten. Dabei ist eine Grundstruktur vorgegeben, aber es wird ausreichend Raum für eigene Ideen und kreative Lösungsansätze der Spieler gelassen. Ganz im Geiste der OSR-Tradition sind Zufallstabellen die Grundstruktur aller Szenarien. In den drei deutlich offeneren Szenarien (die man vor dem Leiten wenigsten einmal gelesen haben sollte) sind dann auch leere Zufallstabellen enthalten, in denen die NSCs aus der Charaktererschaffung eingefügt werden – das erzeugt dann automatisch eine Motivation für den mit dem NSC verbundenen Charakter.

Review aus Sicht eines Spielers

Das Spielsystem

Beyond the Wall besticht durch ein flexibles jedoch unkompliziertes Regelwerk. Geworfen wird mit einem W20 und es gilt bei Fertigkeitsproben das zugehörige Attribut zu unterwerfen. Im Falle von Rettungs- und Angriffswürfen muss ein bestimmter Schwellenwert überworfen werden. Dies ist auch schon das Komplizierteste an dem Spiel: Der Wechsel zwischen unter- und überwerfen von Schwellenwerten. Die Fertigkeiten, die ein Charakter im Laufe seines Lebens erworben hat, dienen als Richtwert. Der Spielleiter kann damit einordnen, ob ein Charakter aufgrund seiner Fähigkeiten eine Probe ablegen oder einem anderen Charakter unterstützend zur Hand gehen kann. Im Falle einer Unterstützung wird einfach der Wurf um +2 erleichtert.

Die Klassen geben im schon angesprochenen Lebenspfad-System verschiedene Möglichkeiten für Hintergrund, Fertigkeiten und bestimmte Klassenfertigkeiten vor. Als Schurke ist man z.B. Hochbegabt und kann mehrere Fertigkeiten wählen. Außerdem ist man ein Kind des Glücks und erhält eine höhere Anzahl von Schicksalspunkten. Somit hat man alle Möglichkeiten für ein solides Rollenspiel zur Hand und doch fühlt sich jeder Charakter individuell an.

Dorf- und Charaktererstellung

Als Spieler ist die Charaktererstellung immer ein sehr mechanischer und/oder intimer Prozess. So erstellt man doch seinen Charakter. In Beyond the Wall erstellt man gleichzeitig aber auch noch die Heimat jenes Charakters. Durch die Zufallstabellen wird man bei der Charaktererstellung mit Situationen konfrontiert. Als ein Beispiel könnte der Vater dienen, der zu Recht eines Verbrechens bezichtigt wurde. Wie hat sich dies auf die Persönlichkeit des Charakters und seinem Umfeld niedergeschlagen? Spannende Frage. Wer hat dem Schurken seine Tricks beigebracht? Woher hat der Magier sein altes Zauberbuch aus dem er seine Sprüche gelernt hat? Potentielle Fragen, die auch andere Charaktere einspannen können.

Für sowas werden dann Orte und Nicht-Spielercharakter für das Dorf der Gruppe erschaffen. Gleichzeitig ist man dem Ort verbunden. Es ist die Heimat und wenn die Heimat bedroht wird, stellt man sich auch gegen diese Bedrohung, um sein Haus und seine Freunde zu beschützen. Durch diese schon von Anfang an erstellten Beziehungen verliert der eigene Charakter auch etwas den Umstand ein Wegwerf-Charakter zu sein. Als Spieler steigt damit auch die Sorge um das Überleben des Charakters. So bietet Beyond the Wall im Sinne der alten Dungeon and Dragons Reihen doch eine gefährliche Welt mit tödlichen Bedrohungen. Sterben gehört immer noch zum Dasein des Abenteurers dazu!

Fazit

Benjamin:

Beyond the Wall hat sich für mich als absoluter Glücksgriff herausgestellt! Ich hatte es auf der Nordcon 2018 als Spontankauf mitgenommen und seitdem schon ein Dutzend mal mit unterschiedlichen Gruppen geleitet. Als jemand, der zur Zeit White Box nicht einmal geplant war, habe ich durch Beyond the Wall einen guten Eindruck von der Faszination der OSR-Bewegung bekommen und bin dadurch noch motivierter, mich mit durchdachten Dungeons und Zufallstabellen, Beute, Schätzen und Monster aller Art zu beschäftigen. Dazu kommt, dass man durch die sehr angenehme Haptik und das einheitliche, exzellente Layout in Kombination mit den an die deutsche Romantik angelehnten Impressionen immer wieder gern das Buch in die Hand nimmt und einfach nur darin blättert.

Das man für knapp 25€ damit ein komplett spielbares Rollenspiel mit Regeln, Charakterklassen, ausgearbeiteten Szenarien, Monsterliste, Schätzen – kurz mit ausreichend Material für viele gemeinsame Stunden Spielspaß erhält, rundet das Ganze dann noch ab!

Spielleiter-Wertung 5 von 5 Plus-1-Schwerter

René:

Beyond the Wall fängt das Feeling von alten Dungeon and Dragons Editionen auf. Das Würfeln auf Zufallstabellen macht immer noch Spaß. Bei jedem Treffer wird die Bedrohlichkeit der Welt sowie die Sterblichkeit der Charaktere wieder ins Gedächtnis gerufen. Gleichzeitig fühlt sich Beyond the Wall jedoch auch modern an. Es ist kein altes Grimoire, welches eine dicke Staubschicht auf dem Umschlag hat. Nicht jede Situation muss kämpferisch gelöst werden. Nicht jeder Spielabend führt zu Konflikten mit Gewalt oder in Dungeons, die nur durch Kämpfe gelöst werden können. Fallen, Rätsel und soziale Interaktionen im Dorf, der durch die Spielgruppe entstehenden Welt oder gar in alten Gewölben runden das Bild eines Rollenspiels der heutigen Zeit im Gewand vergangener Zeiten ab!

TL;DR

Dir sind aktuelle Rollenspiele zu verkopft, du hast Bock auf „wie früher“, aber das ständige Sterben der 1 HP-Charaktere nervt dich und so ganz ohne Charaktermotivation magst du auch nicht losziehen? Dann ist das Spiel das Richtige für dich! Du willst DnD in pur und true™ und keinen „Weichspülkram“? Charakterhintergründe denkst du dir lieber selbst ab Stufe 5 erst aus? Und wer noch nie einen Charakter im ersten Raum durch eine Onehit verloren hat, hat keine Ahnung von Dungeons und Dragons? Dann bist du vermutlich bei Dungeon Crawl Classics besser aufgehoben 😉

Das könnte dich auch interessieren …

Kommentar verfassen