Lese-Rezension zu Legends of Avallen – Ein keltisch inspiriertes Rollenspiel

Die letzte Lese-Rezension ist mit Beyond the Wall – In die Ferne schon etwas her und heute wollen wir uns Legends of Avallen anschauen. Es war in den Endzügen des Kickstarters als Deren mich auf dieses Werk aufmerksam machten. Er und seine Frau haben zusammen Legends of Avallen erschaffen und im Zuge des Kickstarters sogar in Modiphius einen Publisher gefunden. Inspiriert wird das ganze Spiel von keltischer Mythologie aus der römisch-britischen Zeit und führt die Charaktere über eine Insel, die von Stämmen naturverbundener Menschen beheimatet ist, eine Verbindung zur Anderswelt bietet und neuerdings zum Teil von ungläubigen Eindringlingen beansprucht wird.

TL;DR

In Legends of Avallen beginnt unsere Geschichte als übliches Mitglied eines Dorfes von einem Stamm. Jeder Stamm untersteht einem Klan in Avallen. Wir wählen eine Profession, werden besser in ihr und gehen auf Questen. Auf bestimmten Stufen entwickelt sich unser Charakter weiter und nimmt Klassen wie die:den Krieger:in oder Mystiker:in an und ebnet damit den Weg in einen der vier legendären Pfade jeder Klasse.

Das Regelwerk strotzt vor Ingame-Texten, Phonetik für die für manche sehr schwierig auszusprechenden Namen wie Ffieidd-Dra (fee-AYTH-dra) und wundervollen Artwork, um eine wundersame Welt zu unterstreichen. Es gibt den Konflikt zwischen Technik mit dem Raxianischen Imperium sowie den Naturverbundenen Stämmen der Vallic, welche alle einen der fünf Götterpersonen besonders verehren.

Die Regel sind ungewohnt, aber nicht übermäßig kompliziert. Besonders schön liest sich die Charakterentwicklung, die Regeln für soziale Konflikte als eigenes Mini-Game und dass es Wege gibt das Kartenglück etwas taktischer aufzuwerten.

Ein spannendes Spiel für Freunde mythischer Welten und legendärer Geschichten!


  • Verlag: Modiphius
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Englisch
  • Seiten: 244
  • Format: PDF / Print
  • Preis: 24,95 € für die PDF / 42,95 € für das Hardcover bei Modiphius bzw. das Hardcover für 29,99 € bei Fantasywelt oder 47,95 € bei Sphärenmeister

Die Insel Avallen

Während dem Zeitalter der Götter gab es fünf Held:innen, die sich gegen die Wilde Jagd stellten und die Schlacht in die Anderswelt brachten. Berührt von dieser merkwürdigen und unbekannten Welt, wo selbst die Zeit anders verläuft, kamen sie zurück zu den Stämmen der Vallic. Durch ihre Taten inspiriert schlossen sich die Stämme in einem Eid der Loyalität unter diesen einzelnen Held:innen zusammen und bildeten, die jetzt großen Klans der Pen Cawr, Pen Baedd, Pen Levi, Pen Draig und Pen Afanc. Um die Stabilität zu wahren, begaben sich die nun als Gött:innen bekannten Helden zurück in die Anderswelt und überwachen die Mächte und Einflüsse der Welten. Damit begann das Zeitalter der Legenden.

In der Anderswelt befindet sich die Heimat von Fae und anderen Kreaturen britischer und keltsicher Mythologie. So sind die "Kinder" der Götterpersonen hier in verschiedenen Ausprägungen zu finden. Gleichzeitig sind die Ffieidd-Dra (fee-AYTH-dra) Abnormalitäten, die während der Wilden Jagd in die Anderswelt verbannt wurden. Vereinzelt fliehen einige dieser Kreaturen nach Avallen, jedoch noch keines der uralten Wesen, welches eine endgültige Bedrohung für die Insel darstellen könnte.

Das Raxianische Imperium setzte Kurs auf Avallen und mit der Hilfe von Pen Cawr, die ihnen zugewandt sind, konnten sie ihren Platz auf der Insel finden. Mit der glorreichen Metropole Ataraxia bauen die Raxianer ihren Einfluss aus und zeigen den Wohlstand mit Gesellschaftsplätzen, Badehäusern und künstlichen Flüssen, den ihnen die Technik bringt. Nach dem Tod des Imperators sind nun seine Töchter als Zwilings-Imperatorinnen benannt, was nicht jeder im Senat im Geheimen gutheißt. Lange Zeit herrschte Krieg zwischen den einheimischen Vallic und dem Imperium, aber ein Waffenstillstand wurde ausgerufen und verhandelt. Dennoch bestehen die Spannungen weiter, so dass sich auch aus den Reihen der Pen Cawr ein Widerstand im Norden versammelt.

Kernmechaniken

Karten statt Würfel

Anstelle von Würfeln nutzt Legends of Avallen ein normales Poker Deck. Es gibt vier Attribute, die jeweils einer Kartenfarbe zugeordnet sind:

  • Vigour – Herz
  • Agility – Karo
  • Spirit – Pik
  • Wit – Kreuz

Für jede Probe legt die Spielleitung einen Schwierigkeitsgrad fest. Grundsätzlich hat jeder Charakter in seinen Attributen einen Modifikator, angefangen bei einer Verteilung von +1, 0, 0, -1 bei Charaktererstellung. Dieser Wert wird auf die Probe schon mal addiert. Wenn eine Karte gezogen wird, gibt es jetzt verschiedene Situationen. Sollte die Farbe (rot/schwarz) zugehörig zum Attribut gezogen werden, erhält man bei der Probe +1. Bei der exakten Kartenfarbe (Herz, Karo, Pik, Kreuz), erhält man +2. Bei einer Hof-Karte (Bube, Dame, König, Ass) wird der Wert verdoppelt. Das Gegenteilige gilt, wenn man die falsche Farbe (rot/schwarz) zieht oder sogar die entgegengesetzte Kartenfarbe. Jede Kartenfarbe hat nämlich eine Gegenposition (Herz – Kreuz, Karo – Pik). Zieht man also bei einer Vigour Probe die Kreuz 7, gibt die Karte -2 auf die Probe. Bei einem Kreuz Buben wäre es sogar -4.

Dem Pech entgehen

Um dem Ziehen der falschen Karten zu entgehen, gibt es Vorteil und Nachteil aus nun vielen anderen Spielsystemen. Wir können hier jedoch mehr als einen Vorteil oder Nachteil haben, die sich gegenseitig aufheben. Drei Vorteile und ein Nachteil führen also zu zwei Vorteilen, die wir ansetzen dürfen. Für jeden Vorteil oder Nachteil, den wir nach dieser kurzen Rechnung über haben, ziehen wir zusätzliche Karten. Wenn die Vorteile überwiegen, wählen wir aus den gezogenen Karten die für uns beste Karte. Bei einem Nachteil müssen wir die schlechteste Karte wählen.

Zusätzlich bekommt man einen sogeannten Edge, wenn man eine Probe nicht schafft oder kritisch schafft. Dies ist eine Karte, die wir verdeckt ziehen und vor uns legen. Bei einer Probe dürfen wir diese Karte dazu legen und wählen. Sie wird wie ein Vorteil behandelt. Ansonsten kann der Edge für manch andere Fähigkeiten des Charakters notwendig sein.

Eine weitere Besonderheit, um Misserfolge zu vermeiden, ist das sogenannte Exerting. Man kann so einen Misserfolg in einen Erfolg verwandeln. Exerting kann man dabei auf den eigenen Charakter oder auf Gegenstände, die bei der Probe eingesetzt werden, anwenden. Man kann auch mehrfach das Exerting einsetzen, um so kritische Misserfolge zu Erfolgen werden zu lassen. Funktioniert übrigens auch gegen Proben, die jemand an den eigenen Charakter richtet. In den Parleys – also den sozialen Konflikten – darf diese Regel nicht angewandt werden, da es gleichzusetzen ist mit dem Gesicht verlieren. Mann kann nur einmal Exerting einsetzen und muss danach rasten, um den Zustand vom Charakter zu entfernen. Bei Gegenständen wird über ein kleines Kästchen vermerkt, dass der Gegenstand kaputt ist und muss entsprechend repariert werden.

Charakterentwicklung

Es wird davon ausgegangen, dass unser Charakter ein Vallic, eine einheimische Person von Avallen, ist. Man kann zwar auch unter dem Banner des Raxianischen Imperiums spielen, aber die meisten Pfade der Charakterentwicklung halten sich näher an den Vallic auf. Zu Beginn des Spiels wählt man eine Profession. Darunter fallen Alchemist:innen, Bard:innen, handwerkliche Charaktere, Händler:innen, Priester:innen, Gelehrte, bekannte Personen, Dieb:innen, Zähmer:innen und Aasgeier. Jede Profession hat drei Fertigkeiten, die wir über ein Professionskit nutzen können. Für die dritte Fertigkeit muss das Kit aufgewertet werden. Dies sind alles keine mächtigen Fertigkeiten, aber in Kombination mit späteren Klassen oder Gruppenkonstellationen hilfreiche Berufe. So können handwerkliche Personen Gegenstände reparieren oder herstellen, Aasgeier Vorräte durch Plünderung und Ausweidung aufstocken sowie aus Monsterorganen Umhänge mit deren Fertigkeiten herstellen.

Stufenaufstiege passieren alle zwei Quests. Man spielt in diesem Spiel questbasiert und wird so auch bekannt. Nach jeder zweiten Quest steigt man eine Stufe auf. Dazwischen erhält man eine Attributssteigerung. Es gibt insgesamt 15 Stufen, die sich in die Bereiche: Lehrling, Abenteuer:in, Veteran:in, Held:in und Legende aufteilt.

Klassen

Auf Stufe 2 wählt man direkt eine Klasse. Davon gibt es vier Stück im Spiel:

  • Krieger:in
  • Plündernde
  • Mystiker:in
  • Magier:in

Jede Klasse hat dabei noch verschiedene Stile. Ein:e Krieger:in hat damit den Großwaffenkampf, Wrestling, Schildkampf und Schutzstil. Ab Stufe 5 wählt man einen der vier legendären Pfade einer jeden Klasse. Dabei hat jede Klasse einen einzigartigen Pfad und drei, die mit anderen Klassen geteilt werden. Im Fall der geteilten legendären Pfade, erlangt man auch die Klasse, mit der man sich den Pfad teilt. Wenn man als Krieger:in also Primus wählt, erlangt man auch die Klasse der Magier:in. Wie bei Der Schatten des Dämonenfürst erlangt man auf verschiedenen Stufen erst neue Fähigkeiten der Profession, Klasse und des legendären Pfads und hat auf Stufe 5 nicht schon Profession und Klasse ausgiebig erlernt.

Charakterzüge und Reflektion

Als eine Besonderheit gibt es auch noch persönliche Abschnitte der Charakterentwicklung. Während der Charaktererstellung wählt man eine Motivation, Tugend und einen persönlichen Makel der eigenen Figur. Neben dem inneren Konflikt sollen diese Charakterzüge dazu führen, dass man sich bestimmten Situationen und Eiden verschreibt. Wenn diese aufgelöst werden, erhält man auch mechanischen einen Bonus. Aber während der eigene Charakter mehr und mehr zur Legende wird, ändert sich auch dieses Verhalten und die Sichtweise auf das eigene Bild. Der Charakter wird also nicht nur auf erzählerischer Ebene sondern auch regelseitig bei den Stufenaufstiegen mit den eigenen Tugenden und Mäkeln konfrontiert.

Fazit

Aufmachung

Das Buch selber ist gut strukturiert, hat ein sauberes und übersichtliches Layout, wundervolles Artwork und kommt direkt mit einer ersten Queste. Die Fluff-Texte sind sehr thematisch und lassen die Welt lebendig erscheinen. Wiederholungen von Textbausteinen führen dazu, dass man nicht wild Feinheiten der Regeln nachschlagen muss. Die Abschnitte sind kurz und prägnant. Genau so muss man aber auch die Lore verstehen. Für Leute, die tiefe Lore erwarten, ist im Regelwerk auf den ca. 244 Seiten natürlich noch Luft, da es ansonsten ein viel längeres Buch wäre. Dafür gibt es einen guten Eindruck in die Welt und Lore und bietet damit auch viel Inspiration für eine eigene Auslegung von Avallen, der Anderswelt und dem Imperium.

Regelwerk

Als ich anfing Legends of Avallen zu lesen, war ich skeptisch. Ich wusste nicht, was mich erwartet und die Kernregeln klangen ungewohnt und auch hart. Desto mehr ich mich in das Werk wühlte, merkte ich jedoch, dass es viele Kombinationsmöglichkeiten gibt und sich auch die Kompetenz der Charaktere gut steigt. Sehr schön empfand ich die Entwicklung auch auf persönlicher Ebene und die Art und Weise, wie mit dem Thema Legenden umgegangen wird. Das Aufschreiben der einzelnen Questen führt schon zu einer Art von Ruhm und genau das wird durch einen Sozialstand widergespiegelt, was auch erlaubt mit Leuten von Rang und Namen zu sprechen.

Gleichzeitig werden genau so die NSC und Monster Statblöcke abstrahiert. Sie werden in einzelne Ränge eingestuft und haben dann grundsätzlich die gleichen Werte und ansonsten haben sie eigene Motivationen, Fähigkeiten und Abstufungen. Genauso werden auch Münzen nur in höchster Stufe gezählt und gehen mit dem sozialen Rang einher. Wenn man Adelig ist, interessiert man sich nicht mehr für Kupfermünzen und muss darüber auch kein Buch führen.

Besonders schön hat mir der soziale Konflikt gefallen, der nicht nur eine sorgfältig geplante Diskussion erfordert, sondern das in Erfahrung bringen von Motivationen und persönlichen Einstellungen des Gegenüber und die Geduld des Gesprächpartners auf die Probe stellt und damit ein Ende des Parley bildet.

Alles in Allem liest sich Legends of Avallen nach einem abgestimmten Spiel in einer sorgfältig geschriebenen Welt mit verdammt vielen Wörtern, die sich unaussprechlich lesen, und Geschichten vom einfachen Mensch bis hin zur Legende beschreiben ohne dabei ein zu hohes Powerlevel anzusetzen, sondern sich in der Mythologie wohl zu fühlen. Dieser Vorteil ist m.E. auch der Beigeschmack: Es ist eine sehr starke Thematik und daher nicht dein normales Fantasyspiel, was man mögen muss!

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